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Gregg Allman, 8.12.1947 - 27.5.2017
Endpin Offline
Quetschklavier-Spieler
**

Beiträge: 92
Themen: 5
Registriert seit: Mar 2013
#3
RE: Gregg Allman, 8.12.1947 - 27.5.2017
Danke für Deine Rückmeldung, Ghetto. Ich war tatsächlich davon ausgegangen, daß sein Tod keinem einschlägig Interessierten entgangen sein könne; aber das ist angesichts des tagtäglichen medialen Overkills natürlich unsinnig. Was die Tiefen und Untiefen seines Charakters und seines Lebenswandels betrifft, hast Du freilich Recht, und den moralischen Zeigefinger zu heben, mag einem da nur allzu leicht in den Sinn kommen. Ich meine, man sollte sich dann fairerweise aber auch die Frage vorlegen, ob es ein Phänomen wie die Rockmusik überhaupt gäbe, wenn die Menschheit nur aus vernünftigen und abgeklärten Individuen bestünde...

Auf die von Dir angesprochene Thematik hatte ich übrigens bereits im zweiten Teil meines Eingangsposts angespielt, allerdings in so verklausulierter Form, daß ich's wohl etwas aufdröseln muß, damit zumindest für wohlwollende Leser nachvollziehbar wird, was der endpin'sche Spinner da eigentlich gemeint hat. Die Mühe lohnt aber, wie mir scheint, denn die Sache ist wirklich spannend.

Vorausschicken sollte ich vielleicht noch, daß Gregg Allman (bzw. die Allman Brothers Band) einen nicht unbedeutenden Teil des Soundtracks zu meinem Leben geliefert hat, was vermutlich für nicht wenige Musikbegeisterte meiner Generation gleichermaßen gilt. Will sagen: Obwohl mein musikalischer Fokus schon lange auf anderes gerichtet ist, habe ich die Signature-Songs der ABB natürlich alle im Ohr, höre sie auch immer wieder gern und beschäftige mich ab und an auch gedanklich intensiv mit ihnen.

So natürlich auch mit dem Midnight Rider, dem mMn eine Schlüsselrolle in Gregg Allman's Œuvre zukommt. Ich würde nicht anstehen (und das sage ich, obwohl ich normalerweise die Hände über dem Kopf zusammenschlage, wenn Rockmusik und Kunst in einem Atemzug genannt werden) diesen Song als Kunstwerk zu bezeichnen, und zwar als ein durchaus hochkarätiges, das selbst den Vergleich mit großen Werken der bildenden Kunst, beispielsweise eines Munch oder van Gogh, nicht zu scheuen braucht. Wie das, wirst Du Dich jetzt fragen, falls Du die Freundlichkeit und Geduld hattest, mir bis hierher zu folgen.

Nun, das ist hoffentlich leicht erklärt. Ich beziehe mich dabei vornehmlich auf den Text. Eine musikalische Analyse brauchen wir dazu nicht. Die könnten andere eh viel besser als ich leisten. (Und daß es einfach ein geiler Song ist, hört ja wohl auch ohne musikalische Analyse jeder.) Musikalisch wichtig und interessant (im Sinne des von mir behaupteten Kunstwerks) ist jedoch die evokative Kraft, die besonders die oben von mir verlinkte Originalversion auszeichnet; doch dazu später noch ein, zwei Worte.

Was ist also das Besondere an dem Text? Oberflächlich betrachtet folgt er ja einfach einem im Blues geläufigen Schema, wo auf eine beliebig wirkende Aneinanderreihung situativer Beschreibungen innerhalb der Strophe (wobei deren Ursache, wie hier, auch unbestimmt verbleiben kann) im Refrain das (meist trotzige) Fazit folgt. Auch die verwendeten Worte und Bilder (die Düsterkeit, die schon allein durch das Bild des mitternächtlichen Reiters heraufbeschworen wird; der innere Aufruhr, in dem sich der Reiter befindet, weil er sein sicheres Versteck, seine Zuflucht verlassen muß; die Gleichsetzung des Reiters mit dem Sänger; die Ausweglosigkeit, da allein die immerwährende Flucht das Überleben ermöglicht; die Aussichtslosigkeit des Unterfangens, da ihm lediglich ein einziger Silberdollar verblieb...) folgen nahtlos den Klischees, wie sie vor allem im Blues üblich sind. Das allerdings mit einer solch dichten Atmosphäre, einer solchen Ballung von stimmigen Bildern, daß man (trotz seiner Kürze und Schlichtheit) schon hier von einem Text der Extraklasse sprechen kann.

Hat man sich mal so weit reingedacht und quasi eingelebt in den Song, erkennt man auch, wie genialisch die musikalische Umsetzung der Originalaufnahme ist. Dann nimmt man nämlich plötzlich wahr, daß Schlagzeug und Percussion nicht nur einen tollen Grooveteppich legen, sondern zugleich das Hufgetrappel des Verfolgten und seiner Verfolger evozieren; oder auch, daß das wiederkehrende, aufsteigende Motiv der E-Gitarre im Refrain nicht nur so geil wie simpel ist, sondern zugleich an das Vorwärtspeitschen eines Pferdes erinnert... WOW! Besser geht's doch wirklich nicht, oder? Auf jeden Fall ganz großes Kino!

So weit, so gut. Bis hierher haben wir es allerdings immernoch "nur" mit einem bärenstarken Song zu tun. Die gibt's zwar auch nicht wie Sand am Meer, aber um zu verstehen, was ihn mMn selbst aus dieser elitären Gruppe heraushebt und zu einem echten Kunstwerk macht, müssen wir noch 'nen kleinen Schritt weiter gehen. Und der wäre, den Text nicht nur als einen gewöhnlichen Songtext (im Sinne des zuvor Gesagten) zu lesen, der eben die üblichen Klischees erfüllt, sondern als ein Stück ernstzunehmender Literatur, das (unfreiwillig und unbeabsichtigt!) die innere Verfassung, den seelisch-geistigen Zustand des Autors preisgibt.

Dafür spricht nicht nur, daß der Song sowohl im Rausch, als auch wie im Rausch entstand. Er hat ihn auch derart aufgewühlt, daß er noch in der Nacht des Enstehens ins Studio einbrach(!), um ein Demo davon einzuspielen. Ich meine, es ist leicht nachzuvollziehen, was ihn an diesem Song so aufgewühlt hat. Denn vor wem oder was flieht der Midnight Rider eigentlich? Sind es nicht die eigenen Dämonen, die ihn verfolgen? Handelt es sich am Ende gar nicht um äußere Feinde oder Verfolger, sondern um Feinde in der eigenen Brust, im eigenen Innern? Und war Gregg Allman an diesem Abend möglicherweise ganz dicht davor, genau diesen Zusammenhang in sein Tagbewußtsein zu bringen - die Angst vor seinen eigenen Dämonen zu realisieren, um sich Stück für Stück durch Bewußtwerdung von ihnen zu befreien?

Wie wir vermuten müssen, ist ihm dies nicht gelungen - stattdessen schuf er ein Kunstwerk. Ein Kunstwerk mit geradezu prophetischer Kraft, denn war nicht sein ganzes weiteres Leben eine andauernde Flucht vor den eigenen Dämonen? Mal kamen sie ihm sehr nah, mal konnte er sie sich ferner halten und kurz verschnaufen. Aber ob er ihnen letztlich entkommen ist? Und ob man seinen Dämonen überhaupt durch Flucht entkommen kann? Doch ist's nicht so bei aller Kunst, daß sie mit Herzblut gemacht sein muß, um zu berühren, zu bewegen, zu erschüttern? Und gäbe es sie denn, wenn der Autor im richtigen Leben nicht daran scheiterte, was ihm im Kunstwerk mühelos gelingt? Oder anders gefragt: Gäbe es wohl Munch's Schrei, wenn sich dieser im "wirklichen" Leben die Last von seiner Seele hätte schreien können?

Tja, warum schreib ich das eigentlich alles? Und noch dazu hier in diesem verwaisten Forum, wo es eh kaum jemand lesen, geschweige denn sich dafür interessieren wird. Sei's drum! Der leise Vorwurf, der in Deinem Post mitschwingt, Ghetto, hat mich wohl dazu animiert. Und Gregg Allman hat diese kleine Verteidigungsrede bestimmt verdient. Zudem, wie stellte schon der olle Goethe so trefflich fest:

Lasset Lied und Bild verhallen,
Doch im Innern ist's getan.


In diesem Sinne, keep on ridin', Endpin


bass, bässer, basso continuo
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 05-06-2017, 19:40 von Endpin.)
05-06-2017, 19:38
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RE: Gregg Allman, 8.12.1947 - 27.5.2017 - von Endpin - 05-06-2017, 19:38

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